Der Verein Natur- und Landschaftsschutz Nüstenbachtal hatte für den 12. September zu einem Dorfrundgang eingeladen. Clemens Papmahl, Vorsitzender des Vereins, konnte 17 Besucherinnen und Besucher begrüßen.
Einen umfassenden Einblick in das dörfliche Leben in den 1950er Jahren haben die Besucherinnen und Besucher bekommen, die am Dorfrundgang teilgenommen hatten. Anhand von historischen Fotografien konnten sie sich ein Bild vom Dorfplatz machen, der für die Dorfbewohner von großer Bedeutung war. Neben Rathaus und Schule wurde das „Milchhäusle“ (Milchsammelstelle) regelmäßig von den Milchlieferanten genutzt. Bis zu 28 landwirtschaftliche Betriebe lieferten zwei Mal täglich dort Milch ab, die dann vom „Milchauto“ zur Weiterverarbeitung abgeholt wurde. Gleichzeitig wurde dort auch Milch direkt verkauft, so dass vor allem am Abend ausreichend Gelegenheit war, Neuigkeiten auszutauschen. Das „Waaghäusle“ beherbergte die öffentliche Viehwaage, die gebraucht wurde, wenn Rinder oder Schweine verkauft wurden. Und für den Fall, dass ein Feuer ausbrach, standen im „Spritzenhaus“ (Feuerwehrgerätehaus) eine Zwei-Mann-Handpumpe bzw. später eine Motorpumpe und die dazugehörigen Gerätschaften (insbesondere Schläuche und Strahlrohr) bereit.
Geleitet wurde der Rundgang von Friedrich Hildenbrand und Adolf Nerger, bei denen man schnell merkte, dass sie solche Führungen nicht zum ersten Mal machten. Für die Vorstellung der1966 geschlossenen Dorfschule nahmen sich die beiden viel Zeit. Aus heutiger Sicht unvorstellbar, unter welchen Umständen unterrichtet wurde: Bis zu acht Klassen im einzigen Raum der Schule, der mit einem Holzofen beheizt wurde, mit Toiletten wie in ländlichen Freiluftmuseen und ohne Anschluss an die Wasserversorgung (Wasser, auch Trinkwasser wurde aus dem Dorfbrunnen geholt - an dem ein Schild "Kein Trinkwasser" angebracht war). Die wöchentliche Reinigung der Anlage gehörte seinerzeit zu den Aufgaben der Schüler. Der Kindergarten war im Rathaus untergebracht.
Erst seit 1959 kann das Dorf auf einer zweispurigen asphaltierten Straße angefahren werden; vor dem Straßenbau gab es nur einen einspurigen Feldweg mit einigen Ausweichstellen, über den sich auch der Omnibus quälen musste. Auf dem weiteren Weg durch das Dorf wurde die traditionelle Sozialstruktur Nüstenbachs deutlich: Fast alle Haushalte lebten von der Landwirtschaft, die dörflichen Handwerke wurden meist im Nebenerwerb betrieben, z. B. Maler, Wagner, Schmied und Küfer. Zwei Gastwirtschaften gab es, den „Ochsen“ und die „Stadt Mosbach“, der auch ein Lebensmittelladen angegliedert war. Postgeschäfte konnten in der Poststelle im Wohnhaus Rapp erledigt werden, wo auch die Möglichkeit bestand, zu telefonieren.
Vor der Besichtigung der Dorfkirche wurde das Rad der Zeit auf die Zeit vor 1759 zurückgedreht. Damals waren die katholischen Bewohner klar im Vorteil, für sie gab es im kurfürstlichen Kelterhaus eine Kapelle zur Ehre der Allerseeligsten Gottesgebährerin Maria (Quelle: Beschreibung der Kurpfalz,1786). Die Reformierten mussten zum Kirchenbesuch den beschwerlichen Weg nach Neckarelz (ca. 6 km) und die Lutheraner den nach Mosbach (ca. 5 km) in Kauf nehmen. Insofern ist es gut nachvollziehbar, dass der Kirchenbau im Jahr 1759 für die Nüstenbacher eine große Bedeutung hatte und identitätsstiftend wirkte. Friedrich Hildenbrand stellte die Hintergründe des Kirchenbaus und das Gebäude vor, gewürzt mit allerhand Anekdoten aus dem Umfeld der Kirche.
Die Gäste, auch wenn sie schon seit Jahren am Ort leben, freuten sich über viele neue Eindrücke. Sie waren sicher aber froh, dass sie auf gebahnten Wegen nach Hause gehen und dort die Segnungen des 21. Jahrhunderts in Anspruch nehmen können.